Gewalt bei der Geburt

 


ACHTUNG TRIGGERWARNUNG

 

Ich schreibe heute diesen Beitrag, weil ich gestern etwas erlebt habe, was mich einfach nicht los lässt. Es hat mich lange Zeit nichts so dermaßen berührt und betroffen gemacht, wie die Erlebnisse meiner langjährigen Freundin während und nach der Geburt ihrer ersten Tochter.

 

Wir beide kennen uns schon seit wir Kinder waren, mittlerweile sind wir Anfang und Mitte 30. Klar gibt es mal Phasen, in denen wir weniger Kontakt haben, dennoch ist diese Freundschaft etwas ganz Besonderes.  Ich behaupte mal, es gibt wenige Menschen, die uns beide so gut kennen, wie wir uns gegenseitig.

 

Meine Freundin ist eine bodenständige Frau. Vor der Geburt hat sie zahlreiche verschiedene Medien genutzt, um sich bestmöglich auf diesen Moment vorzubereiten. Denn seien wir mal ehrlich, die Geburt ist etwas, was vielen von uns Angst macht. Sie ist schmerzhaft, es kann Komplikationen geben und wir Frauen sind im Moment der Niederkunft wehrlos ausgeliefert. Umso wichtiger ist es doch, dass man auf die Fragen, Wünsche, Bedürfnisse der werdenden Mutter eingeht. Damit diese zumindest sicher sein kann, dass sie in guten Händen ist und sich bei der Geburt zumindest versuchen kann zu entspannen.

 

Alle die jetzt denken, man solle sich nicht so anstellen, denen sage ich eins: Hättet ihr an diesem Tag dort gelegen und erlebt was meine Freundin erlebt habt, auch ihr hättet das nicht so schnell verarbeitet. Ich war nicht einmal dabei, doch als ich gestern Abend nach unserem Treffen nach Hause gefahren bin, saß ich in meinem Auto und musste weinen. Es hat mir so weh getan, was meine Freundin erleben musste.

 

So, jetzt mal ehrlich, wie kann es sein, dass Frauen hier bei uns im Jahr 2022 noch so schlimm behandelt werden? Und wenn ihr mal die Suchmaschine anwerft, dann werdet ihr feststellen, das ist kein Einzelfall. Und das ist wirklich erschreckend. Ich habe nach den Erzählungen nach Erfahrungsberichten zur Geburt  in verschiedenen Kliniken gegooglet. Auch die Klinik in der meine Freundin war, ist mit dabei. Natürlich und Gott sei Dank gibt es auch positive Berichte und Bewertungen, aber ganz ehrlich, es dürfte diese schlimmen Erfahrungen nicht geben.

Klar, dass Krankenhauspersonal ist überfordert, was dort geleistet wird können wir uns eigentlich gar nicht vorstellen. ABER das ist kein Grund, Menschen so zu behandeln. Empathie, Freundlichkeit, das Gefühl gut aufgehoben zu sein ist an einem Ort wie einem Krankenhaus meiner Meinung nach wichtig. Man muss nicht in Watte gepackt werden, aber wenn einem sogar normale Umgangsformen verwehrt werden, ist das schon  beschämend.

Meine Freundin hat ein Trauma von ihrer Geburt davon getragen, ihr Partner auch. Als Geschenk gab es die Schere, mit der die Nabelschnur durchtrennt  wurde mit nach Hause. Die Schere liegt nun im Keller, weil keiner von beiden momentan an diesen Tag erinnert werden möchte. Meine Freundin hat mehr als 2 Monate gebraucht, mit jemandem über das Erlebte zu sprechen. Und noch jetzt sinkt sie beim Erzählen immer mehr zusammen, wie ein Häufchen Elend und die Tränen und Schluchzer lassen nicht lange auf sich warten. Beide lieben ihre Tochter abgöttisch, aber die Geburt und der Aufenthalt auf der Station waren für sie die Hölle.

So, nun reflektiere ich das Erzählte und versuche euch zu vermitteln, was eigentlich so schlimm war: Meine Freundin hatte Wehen, es war eine Woche vor dem errechneten Termin, aber sie fühlte bereits, dass die Kleine schon raus möchte. Nachdem sie nachts 3x im Krankenhaus angerufen hatte, weil sie nicht sicher war, wann sie denn nun los muss, sind sie schließlich am nächsten Morgen los gefahren. Gemeinsam mit ihrer Hebamme hatte sie eine kleine Wunschliste erstellt, denn im Vorfeld hieß es, dass sei in Ordnung. Darauf stand zum Beispiel die Möglichkeit zu baden, ein Gymnastikball und anderes, was ich jetzt nicht mehr in Erinnerung habe. All das wurde ihr nicht gestattet. Meine Freundin hatte gelesen, dass es gut ist in Bewegung zu sein oder in der Hocke, Seitlage…auf dem Rücken liegen sei weniger optimal. Dennoch wurde sie gezwungen auf dem Rücken zu liegen. Sie war stundenlang an das Cetege angeschlossen, weil angeblich die Werte schlecht seien. Die Werte waren genau dieselben wie bei sämtlichen Frauenarztterminen und sie hat nicht verstanden, warum sie nicht vom Gerät weg darf. Sonst waren die Werte auch nicht besorgniserregend. Man hat ihr nicht erklären können, warum sie dort angeschlossen bleiben muss. Währenddessen wurden die Wehen und Schmerzen immer stärker, es war für sie kaum noch auszuhalten. Als sie nach Hilfe zum Atmen bzw Pressen fragte, wurde ihr nicht weiter geholfen. Mittlerweile war sie schon 5 oder 6 Stunden im Krankenhaus. Nichts ging vorwärts. Nach langem flehen und fluchen durfte sie für eine Stunde in die Badewanne. Dabei fühlte sie, wie es ihr besser ging und sie entspannen konnte. Doch danach musste sie direkt wieder an dieses CTG. Mittlerweile hatte sie schon den ersten Schichtwechsel mitgemacht. Außer der Hebamme die nicht ganz so barsch und kaltschnäuzig war wie alle anderen (auch in der Schicht davor) war es ein Alptraum. Es ging noch immer nichts vorwärts. Man hat Blut abgenommen ohne vorher Bescheid zusagen, Infusionen gelegt, Fragen wurden nicht oder unzureichend beantwortet. Rund um kein Ort, an dem man sich wohl fühlt und gut ein Kind zur Welt bringen kann. Bei einer Untersuchung des Muttermundes wurde ihre Fruchtblase zerstört und lief aus. Sie hat mir erzählt, dass plötzlich alle ganz hektisch wurden und meinten, das Baby müsse jetzt raus. Die Schmerzen waren mittlerweile so schlimm, dass sie nach Schmerzmitteln gerufen hat. Es wurde nicht beraten sondern einfach eins gespritzt. Sie hat sich wirklich allein gelassen und absolut ausgeliefert gefühlt. Es wurde ein Dammschnitt gemacht, das Baby versucht mit der Saugglocke zu holen. Vorher bekam sie noch die PTA, und gleichzeitig alle Papiere dafür unter die Nase gehalten. Natürlich konnte sie diese nicht mehr lesen geschweige denn unterschreiben. Das musste ihr Partner übernehmen. Dem Baby wurde unterdessen insgesamt 3 x Haut vom Kopf abgescharbt , um den Sauerstoffgehalt zu untersuchen. Beim 2 x durfte allen Ernstes die Azubine ran, die hat es natürlich nicht ganz geschafft, so dass erneut am Baby rum gekratzt werden musste. Meine Freundin und ihr Partner waren außer sich. Gott sei Dank waren die Werte gut. Leider wurde es jetzt richtig problematisch, die PTA war so heftig, dass meine Freundin gar keine Schmerzen mehr hatte. Klingt erstmal schön, aber nun wusste sie auch nicht, wann Wehen sind und wann sie pressen muss. Wieder nur kurze barsche Antworten, sie solle einfach pressen. Nix passierte. Nach ca. 20 Stunden unter größter Anstrengung war sie schwach, hat gefroren und gezittert wie verrückt, sie flehte nach einem Wärmekissen und einer Decke. Es wurde geantwortet, dies sei nur der Stress und das würde eh nichts helfen. Ich frage mich wirklich, ist es denn so schwer, einer Schwangeren diese kleinen Wünsche während der Geburt zu erfüllen. Diese kleinen Gefallen machen es doch, dass man sich gehört, ernstgenommen und gut aufgehoben fühlt. Erst als auch ihr Mann lauter wurde und sagte, seine Freundin möge endlich was zum Wärmen bekommen, wurde dies umgesetzt.  Danach ging es ihr etwas besser. Dann wurde weiter mit Saugglocke an ihr rum hantiert und ohne Vorwarnung warf sich die Hebamme mit voller Wucht auf ihren Bauch, um das Baby heraus zu drücken. „Ich habe mich den gesamten Zeitraum über misshandelt gefühlt und musste nach der Geburt zu einer Traumaberatung“, hat sie mir unter Tränen erzählt. Ich war die ganze Zeit nur fassungslos, zum einen war ich tieftraurig, wie man Menschen so behandeln kann und auf der anderen Seite war und bin ich wirklich wütend. Nix, aber auch wirklich gar nix rechtfertigt es, so etwas erleben zu müssen. Nachdem das Baby auf der Welt war, musste meine Freundin notoperiert werden. Aufgrund der angewachsenen Plazenta hatte sie so viel Blut verloren, dass sie es fast nicht geschafft hätte. Geschwächt von allen Strapazen lag sie allein auf Station, zu schwach das eigene Kind zu heben. Ihr Mann durfte trotz Corona-Test nur 1 Stunde am Tag zu ihr. Für alles musste sie nach Schwestern klingeln. Das war kein schönes Gefühl. 

Meine Freundin wird einen Brief an die Klinik schreiben, sie macht sich keine großen Hoffnungen, aber sie hat zu mir gesagt, sie hofft, dass es ein bisschen etwas bewirkt, damit andere Frauen nicht wie ein Stück Fleisch oder Vieh behandelt werden. Ich hoffe wirklich sehr, dass sie das Erlebte irgendwann verarbeiten und vergessen kann. Ich wünsche mir, dass sich etwas ändert und finde, man muss uns Frauen vorbereiten und vorwarnen, dass es eben auch unschön ablaufen kann. Niemand sollte die Augen davor verschließen. Es ist erschreckend, wie viele Berichte man dazu im Internet findet. Hier ist dringend Handlungsbedarf!


Aktualisierung: Inzwischen hatte meine Freundin ihren Brief an das Krankenhaus geschrieben. Es kam sogar eine Antwort - man war dort für ein Treffen bereit. Meine Freundin überlegte lange hin und her. Sie hatte wirklich Angst, sich der Situation noch einmal zu stellen, allerdings hatte sie auch Angst es zu bereuen, wenn sie es nicht täte. Also ist sie in die Klinik gefahren. Das Treffen  hat mit einer Fachabteilung für Beschwerden stattgefunden. Natürlich wusste niemand über den Vorgang genau bescheid. Doch anhand der Unterlagen ließ man verlauten, würde das Klinikpersonal jederzeit wieder so handeln. Sehr ernüchternd. 

 

 

Verschiedene Medien haben dieses Thema zum Glück mittlerweile aufgegriffen.

https://www.deutschlandfunkkultur.de/gewalt-in-der-geburtshilfe-wenn-sie-jetzt-schon-so-schreien-100.html

 

https://www.9monate.de/schwangerschaft-geburt/entbindung-kaiserschnitt/geburtstrauma-schlechte-erinnerungen-an-den-kreisssaal-id143371.html

 

https://babytalk.world/gewaltgeburt/

 

Links zu weiteren Erfahrungsberichten:

 

https://www.klinikbewertungen.de/klinik-forum/erfahrung-mit-staedtische-kliniken-kassel?fac_id=entbin

 

https://www.urbia.de/forum/2-schwangerschaft/4292375-jemand-im-klinikum-kassel-entbunden

 

https://www.klinikbewertungen.de/klinik-forum/erfahrung-mit-klinikum-darmstadt?fac_id=entbin

 

https://www.klinikbewertungen.de/klinik-forum/erfahrung-mit-klinikum-hanau?fac_id=entbin

 

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