Mobbing und Gewalt - und was es aus mir macht - Narben und Spuren, die bis in das Leben als Erwachsene hinein reichen

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Achtung Triggergefahr! 

Die vergangenen Tage hat mich ein wichtiges und trauriges Thema beschäftigt, dass ich selbst jahrelang durchmachen musste. Es geht um Mobbing. Mit diesem persönlichen Post habe ich begonnen eine Menge Dinge aufzuarbeiten.

Als ich ein kleines Mädchen war, habe ich am liebsten mit den bunten, kleinen Pferden der Marke „Mein kleines Pony“ gespielt. Die Pferdchen waren einfach wunderschön: Egal ob in Rosa, Lila oder Türkis, ich weiß noch, dass manche Ponys Glitzer in der Mähne oder im Schweif trugen. In meinen Spielen dachte ich mir spannende Geschichten aus, in denen sich die kleinen Pferde gegenseitig vor den Bösewichten beschützten.

Seit ich denken kann, gibt es Situationen in meinem Leben, in denen mir andere Menschen Angst gemacht haben, mich verletzt oder bedrängt haben. Oft malte ich mir aus, dass eines Tages solch ein buntes Pony in wahrer Pferdegröße vor mir steht, und mich vor den Bösewichten rettet. Als Kind betete ich oft und bat Gott darum, wenn es ihn gibt, mir zu helfen.

Kurz bevor ich eingeschult werden sollte, zogen wir um. Anfangs dachte ich, das sei ein Segen gewesen. Später musste ich leider eine andere Erfahrung machen.

Aber dafür muss ich näher ins Detail gehen. Und das ist etwas, das habe ich so in der Form noch niemals jemandem erzählt.

Es beginnt damit, dass wir von der Kleinstadt aufs Land zogen. Ich war im Winter 6 Jahre alt geworden und sollte im Sommer eingeschult werden.

Ich lernte glücklicherweise ein jüngeres Mädchen aus der Nachbarschaft kennen, das mich regelmäßig mit Schnuckekörbchen zum Spielen abgeholte. Dieses Mädchen war ein Segen für mich, denn ich fühlte mich nach dem Umzug einsam und fremd. Ich glaube ich konnte ihr nie sagen, was mir diese Freundschaft bedeutet hat. Ich kannte nach dem Umzug niemanden und alle anderen Kinder hatten schon in der Krabbelgruppe und beim Kinderturnen Freundschaft geschlossen, für mich war es schwer Anschluss zu finden. 

Und so kam es, das ich nach der Einschulung zum ersten Mal im Leben erfuhr, was es bedeutet ein Außenseiter zu sein. Keines der Kinder schien mich zu mögen. Die Pausen verbrachte ich entweder allein oder ich wurde geärgert.

Klar, ich wurde mal auf einen Kindergeburtstag eingeladen, aber wirkliche Freundschaft entstand nie. Da ich eines von vier Kindern bin, hatten meine Eltern auch nicht massig Geld zur Verfügung. Wir hatten also nie die neuesten Klamotten, manchmal trugen wir Kleidung von unseren Geschwistern und natürlich fuhren meine Eltern ein altes Auto.

Und so dauerte es leider nicht lange, bis die Pausen und die Schulwege zur Qual für mich wurden. Einige Kinder standen regelmäßig im Kreis um mich herum, ich in der Mitte. Und sie traten gegen meine Beine und schlugen und schubsten mich und riefen mir gemeine Dinge zu wie, wir seien asozial, und andere gemeine Dinge, die ich heute nicht mehr weiß. Jedoch kann ich mich an eines sehr, sehr gut Erinnern. An das Gefühl der Demütigung. An die Scham und die Trauer. Und die Angst, jeden Tag dasselbe zu durchleben und damit allein zu sein.

In dieser Zeit wünschte und betete ich regelmäßig, dass mich eines meiner Zauberponys retten würde. Aber nichts geschah. Tag um Tag. Ich fühlte mich allein und wertlos. Von meiner Familie war keine Hilfe zu erwarten. Da waren alle zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Mein Vater trank, mit dem Vater meiner Freundin mit dem Schnuckekörbchen Bier wie ein Weltmeister. Dann stritten meine Eltern. Es gab eine Zeit, da stritten die 2 wirklich viel. Auch das habe ich gehasst. Meine ältere Schwester war genervt von mir, und ich war genervt von meiner jüngeren Schwester. Ich hasste es, ich hasste alles. 

Natürlich wurde ich auch teilweise in der Schule schlechter, doch dafür gab es dann nur Hausarrest und Ärger. Von da an versuchte ich, soweit es mir als Kind möglich war, mit meinen Problemen irgendwie fertig zu werden - und zwar allein.

Natürlich frage ich mich auch heute noch oft oft, warum mir das passiert ist und was ich wohl verbrochen habe, um das zu verdienen. Ich weiß es mit 35 Jahren, leider noch immer nicht.

Es wurde besser, als in der 3. Klasse ein weiteres neues Mädchen in den Ort zog und meine Klasse besuchte. Nun waren wir zwei Neue, auch wenn ich schon gar nicht mehr so neu war. Wir wurden die aller, allerbesten Freundinnen. Und durch sie hatte ich eine Kindheit, auf die ich mittlerweile nicht mehr nur schmerzhaft zurück schaue. 

Gemeinsam spielten wir Barbie bis in die Puppen, zu Songs der Kelly Family hüpften wir auf ihrem Bett herum und hatten vorher Kleidung aus dem Schrank ihrer Mutter stibitzt, um uns zu verkleiden. Wir zelteten im Garten, fuhren im Sommer an den See oder ins Schwimmbad, rollten mit unseren Skate Boards durch die Gegend und es war einfach herrlich. In den Momenten mit ihr konnte ich unbeschwert sein, eben so, wie es sich für ein Kind gehört.

Auch ihr habe ich nie gesagt, was mir die Freundschaft bedeutet hat. Wobei ich das als Kind auch noch nicht so realisiert habe.Heute weiß ich, wie wertvoll und kostbar diese Freundschaft war. Ich danke dir, dass du für mich da warst. Wer weiß, ob ich ohne dich heute noch da wäre!

Als wir Teenager wurden, war ich tatsächlich ein ätzender Mensch. Nach all der Nichtbeachtung und Demütigung wuchs etwas Schreckliches in mir heran. Ich fing an, mich bei anderen wichtig zu machen, um beliebt zu sein. Ich erzählte Lügen, ich schwänzte die Schule, klaute die Klamotten meiner älteren Schwester. Ich wollte um jeden Preis endlich positive Beachtung. Und meine damalige beste Freundin wollte ich mit niemand teilen. Heute weiß ich, dass das Verlustängste waren, weil ich nur Sie hatte. Und ich weiß, dass ich sie erdrückt habe und in der Freundschaft nur genommen habe, nie gegeben. Und es macht mich traurig, dass erst jetzt zu erkennen. Ich war so lange sauer, dass sie mir die Freundschaft gekündigt hatte.  Aber mit dem Wissen von heute, hätte ich mir vermutlich selbst die Freundschaft gekündigt. 

Allerdings schaffe ich es langsam gelegentlich, das verletzte Kind und den einsamen Teenager, der ich war zu sehen. Und ja, ich habe rebelliert. Aber solche Mobbing-Erlebnisse gehen nicht spurlos an einem Menschen vorbei.

Das Mobbing nahm nach der Grundschule kein Ende. Es veränderte sich, als ich auf die Gesamtschule wechselte. Plötzlich hatten mich die älteren Mädchen aus dem Ort auf dem Schirm.

Die meisten kannte ich nur vom Sehen, daher erklärt sich mir wieder einmal nicht, warum sie es so auf mich abgesehen hatten. Aber ich habe  recht schnell aufgehört nach dem Grund zu suchen und mich auch dieses Mal Stumm meinem Schicksal ergeben.
Die Tortur endete erst, als ich in die 9. Klasse kam und alle älteren Schüler endlich von der Schule abgegangen waren.

Und dieses Mal fand das Mobbing nicht nur auf dem Schulhof statt. Nein, es war allgegenwärtig. Bei uns im Ort gab es einen kleinen Edeka-Markt, als ich noch jung war. Es war ein Spießrutenlauf, denn meist traf ich mindestes eins der Mädchen, die es auf mich abgesehen hatten (doch hauptsächlich traten sie im Rudel auf). Sie schubsten mich durch die Regale, lästerten, lachten gehässig und sagten gemeine Sprüche wie „Grün und Blau schmückt die Sau“. Ich hatte damals eine Lieblingshose und ein Lieblingshirt in den Farben Grün und Blau. Ich trug die Sachen danach nie mehr.

Der Jugendclub, ein altes Bahnhäuschen, war bei uns in der Dorfmitte, ich habe ihn nie von Innen gesehen. Zu sehr habe ich mich gefürchtet. Ich war auch nie willkommen. Es war die Hölle und ich habe es gehasst. Mir wurde auf den Busfahrten Kaugummi in die Haare geklebt, es wurde lautstark über mich gelästert und ich fühlte mich so wertlos, so hilflos, so klein. Und das Tag für Tag.

Noch heute hat mein Selbstwertgefühl einen großen Knacks und noch heute kommen immer wieder bestimmten Situationen hoch - beim Autofahren, beim Gassigehen - einfach so. Ich möchte gern stark sein, darüber stehen und sagen, es ist lange her.

Aber noch heute fürchte ich mich vor anderen Menschen, weil ich weiß wie gemein und zerstörend sie sein können. Noch heute trage ich den Schmerz und das Misstrauen mit mir herum. Und ich bin enttäuscht von mir selbst, weil ich es nicht hinter mir lassen kann - und ich bin sauer auf all die Menschen, auch wenn es selbst noch Kinder und Teenis waren, die meine Kindheit, meine Jungend und auch mein Erwachsenenleben so kaputt gemacht haben. 

Ich bin wütend und frage mich, wie ein Mensch so grausam sein kann. Es kam nie eine Entschuldigung, nie. Die Gefühle der Demütigung und Scham habe ich nie richtig loslassen können. Es gab Zeiten in meinem Erwachsenenleben, da konnte ich nicht ins Schwimmbad gehen, in die Bar oder auf eine Party, weil ich mich fürchtete, jemand könnte wieder gemein sein und ein Opfer suchen.

Ich bin enttäuscht von meiner Familie, dass ich diesem Schmerz all die Jahre allein ausgesetzt war. Und mittlerweile frage ich mich ernsthaft, wie ich das schaffen konnte ohne komplett daran kaputt zu gehen. 20 Jahre später kamen die ersten Angstzustände und Depressionen.

Nach einer Therapie hatte ich gute 5 Jahre, und nun geht es schon wieder los. Herzrasen, Schweißausbrüche und eine zentnerschwere Last auf meinem Herzen. Und warum ? Meine Schutzstrategie war es als Kind, meine Emotionen abzuschalten, um keine Schwäche zu zeigen und damit das Mobbing vielleicht noch zu verschlimmern - wenn das überhaupt möglich war. Außerdem, hätte ich die Gefühle damals zugelassen, hätten sie mich vermutlich aufgefressen, einfach zerstört. Vor allem die Angst und das Schamgefühl. Dafür lerne ich heute im Rahmen einer Therapie, Gefühle zu erkennen und zuzulassen, zu akzeptieren...denn ich merke, die gesamte Anspannung und der Druck, sammeln sich im meinem Körper an und verursachen Kieferschmerzen, Rückenschmerzen, Herzklopfen...Die Mauer, die ich als kleines Kind und als Teenager zum Überleben brauchte, brauche ich jetzt nicht mehr. Doch sie ist noch da - und heute bereitet sie mir immer wieder Probleme.

Ich frage mich, ob ich ohne all diese schrecklichen Erfahrungen ebenso psychisch krank geworden wäre oder ob ich jetzt genau in dem Moment der glückliche, ausgelassene und sorgenfreie Mensch wäre, der ich so gern geworden wäre. Ich weiß es nicht und werde es wohl auch nie erfahren.

Tatsächlich belastet es mich sehr, dass all diese Dinge, die schon ewig her sind, noch so einen Einfluss auf mein Leben als Erwachsene nehmen. Ich hasse es und möchte mich gern davon befreien. Aber ich weiß nicht wie.

Oft genug bekomme ich Dinge gesagt wie, jeder schleppt sein Päckchen mit sich rum - oder ähnliche Sprüche, die alles relativieren sollen. Ja, natürlich ist das alles lange her. Und ja natürlich gibt es vielleicht Schlimmeres und ja, ich weiß auch, dass andere ihr Päckchen zu tragen haben. Aber all das macht doch mein Päckchen nicht weniger schmerzhaft. Ich möchte es  gern hinter mir lassen, aber ohne professionelle Hilfe, so musste ich erkennen, wird das wohl nicht funktionieren.

Vor allem werde ich versuchen, mich nicht mehr zu schämen für das, was mir passiert ist. Denn schämen sollten sich die anderen, die eine kleine Menschenseele so sehr verletzt haben, dass sie ihr ganzes Leben mit den Auswirkungen zu kämpfen hat.

Ich kann dazu nur sagen:
Wir haben nur dieses eine Leben hier auf der Welt. Bitte denkt darüber nach, bevor ihr etwas Gemeines zu einem Menschen sagt oder ihm etwas antut. Ihr wisst nicht, wie viele vor euch bereits draufgehauen haben und wie sehr dieser eine Moment Einfluss auf das Leben des anderen nehmen wird. 

Wie oft habe ich mir jemanden gewünscht, der sich vor mich stellt. Der sagt „Es reicht“.

Seid doch bitte dieser Mensch für andere! 


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